Natur und Landschaft spielen in ihrem Werk eine zentrale Rolle. Mal sind es poetisierte, aus Erinnerung und Gefühl entwickelte abstrakte Sog-Räume. Mal sind es Bilder, die direkt in der Natur
entstanden, wie ihre „HodlerBilder“. Die einen beginnen ihre Suchbewegung in ihrem Berliner Atelier. Für die anderen packt Eliška Bartek Feldstaffelei und Malutensilien ein und zieht direkt
hinauf in die Berge. Mehrfach ist sie im vergangenen Jahr in die Schweiz gereist, wo sie ein kleines Anwesen besitzt, um auf den Spuren Hodlers eine Geborgenheit zu genießen, die der Alltag nicht
bieten kann. Sie hat vor Jahren schon an Profiklettertouren teilgenommen und fährt seit zwanzig Jahren in den Alpen regelmäßig Ski. Sie will sehen, hören, spüren, fliegen ohne sich anzuschnallen.
In ihren Bildern und Fotografien geht es immer um Licht, Farbe und den Hell-/ Dunkel-Kontrast. Ihre neoimpressionistisch pixelhaften bis lodernd aufbrausenden Landschaftsbilder von 2008/2009
glühen Materie heiß bis in die Syntax, um sie dann als Farbmagma aus den Keilrahmen ausfließen zu lassen, Stoßrichtung vorwärts, hinter die Grenzlinien. Eliška Bartek beschreibt die Stille der
Welt, einen Fluss, einen Baum, einen Blumenstrauß als aufbrausenden Orchesterklang, als wäre sie ein Goldadler der Flammen. Endlich fliegen, trunken vor Glück und Neugierde, so hoch hinaus, dass
die Wachsflügel in der Sonne schmelzen, alter Wunsch, es den Vögeln gleichzutun oder den Wolken. Vornehmlich ist sie auf höchstem Energielevel unterwegs. Sie ist eine, die das Leben mit beiden
Händen greift, ständig, in immer neuen Anläufen und in Bildern, die Taten sind. Illusion und Realität fügen sich zu einer stimmungsstarken Bilderkette, die nur unterbrochen wird durch Barteks
Fotogramme (von 2009), die eher Malerei sind als Fotografie und sich mit dem Matterhorn-Motiv zu den „Hodler-Bildern“ wie ein kontrastierendes, suggestiv minimalisierendes Bühnenbild verhalten.
Für die „Hodler-Bilder“ entstanden farbige Skizzen und Bilder als Vorarbeiten im Sinne des Herantastens an die Landschaftsinterpretationen Ferdinand Hodlers und die Schweizer Berge. Als
Endresultat aber sehen wir Abstraktionen in Schwarz/Weiß. Die Künstlerin grundiert dafür ihre Leinwände mit weißer Ölfarbe, um hernach mit Schwarz darüberzugehen (oder umgekehrt). Anschließend
kratzt sie die Formen mit Bildhauerwerkzeugen aus. Es scheint, als würden in diesem energievollen, rohen Materialumgang all die soft und z.T. süßlich romantisch anmutenden Hodler-Implikationen
getilgt, wie auch die gehirnverkleisternden Bergmythen der Städter und Ausländer, die meinen, in jedem Alpenluftzug müsste ihnen auf der Stelle das rotwangige Heidi begegnen. Rhythmisch und
spontan ist der Duktus dieser Bilder, collagenhaft ihre Komposition. Denn im Gegensatz zu Hodler bringt Eliška Bartek, obwohl sie an den Originalschauplätzen vor der Natur gearbeitet hat, diverse
Bergmassive in ihren Bildern zusammen, die geografisch nichts miteinander zu tun haben.
So zieht sie, „einfach, weil es so gut passt“, z.B. Niesen, Stockhornkette und Breithorn in einen Panoramabogen. Sie hat Ferdinand Hodlers Ansichten des Thunersees (1904-1908) und die Gipfelbilder der Berner Alpen (1908-1911) studiert, sich in die Diskrepanz zwischen Naturalismus, Idealismus und den neuen Chiffren „innerer Werte“ der Landschaft vertieft. Hodlers Farbauffassung (Farbe als „stimmungsgeladenes Element“, Form als „wahrer Ausdruck einer einfachen Empfindung“) und seine Suche nach Religiosität haben Eliška Bartek so mobilisiert, dass sie die Orte, an denen Hodler seine Inspirationen empfing, aufsuchte, um einzutauchen in die Perspektiven auf „Thunersee mit Niesen“ (1910), „Niesen von Heustrich aus“ (1909), auf das grandiose Diesseits als „Der Mönch“ (1911), „Das Breithorn“ (1911), „Jungfrau mit Silberhorn von Mürren aus“ (1911) und andere Hodlersche Landschaftszwiegespräche.
Im Ergebnis ihrer Studienreisen vergrößert und verkleinert Bartek Bergformen nach ästhetischen Maßstäben, fügt Seemotive hinzu, etwa so wie auf geistigen Reisen, obwohl sie mit beiden Beinen in der Natur steht, den Ausblick genießt, die Ruhe und Erhabenheit in einem Anspielungsraum bündelt, also durchaus medial reflexiv arbeitend, ohne dass Teilnahme und Distanz zu eilig ineinandergreifen. Entstanden sind klein- bis mittelformatige Bilder, hochkonzentriert in ihrer Expression, gleichwohl spielerisch prall jonglierend im Gestus, dann wieder aufregend wegen ihrer aggressiv aufgerissenen Liniengräben.
Trotz aller Bezüge zur atemberaubenden Schweizer Berglandschaft ist Eliška Barteks Malerei keine Naturlyrik, kein reiner Ausdruck der Schönheit der Natur. Sowohl die Verklärung der Alpen, als auch die Idealisierung der Bilder von Hodler wäre ein Missverständnis. Was nicht die Rolle Hodlers als eines mutigen Erneuerers in der Zeit der Vormoderne schmälern soll.
Unser Bild von der Schweiz und ihrer rauen Bergwelt wird bis heute vielfach geprägt vom Gestern, vom Blick auf ein verklärtes, ländliches Milieu und von emphatischer Bergliteratur, begründet durch Jean-Jacques Rousseau und zur Blüte gebracht durch Friedrich Schiller, im Zentrum der Apfelschuss. Aber die Schweizer Berge sind längst anders. Längst leiden sie wie andere Hochgebirge unter den Problemen des Klimawandels und des Tourismus.
So wie Eliška Bartek ihre Bergwelten aus den Farben des Schnees und dem Erddunkel herausholt, ihre Gestalt pastos und reliefartig modelliert, vielleicht könnte man sogar sagen: aus den Klischees befreit, so distanziert sie sich auch von der Hodler-Perspektive und ein ganzes Stück weit von den Übertreibungen wie von den aktuellen Verdächtigungen gegenüber der Schweiz, die ihr ab 1976 zur neuen Heimat wurde.
* Leiter Künstlerhaus Bethanien, Berlin
Tannert, Christoph. 'I Believe I Can Fly'. Berge Versetzen. Eliska Bartek. 1st ed. Berlin: Photo Edition Berlin, 2010